Heizen mit Wasserstoff

Der Einsatz von Wasserstoff-Technologie zur Wärmeversorgung im Wohnungsbau ist umstritten. Nun vermehren sich die Stimmen, das Heizen mit Wasserstoff zu forcieren, um die ehrgeizigen Klimaziele im Gebäudesektor zu erreichen.

Der neue Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck hatte am 11. Januar 2022 seinen ersten großen Auftritt. Er verkündete in der Bundespressekonferenz in Berlin die Klimaziele der neuen Regierung. Habeck präsentierte unter anderem ein großes Paket von „Maßnahmen zum Markthochlauf der Wasserstofftechnologie“. Er kündete an, die nationale Wasserstoffstrategie noch in diesem Jahr zu überarbeiten und zusätzliche Förderprogramme auf den Weg zu bringen. Insgesamt soll rund eine Milliarde in die Förderung von Wasserstoff-Anwendungen fließen.

Wundergas

Wasserstoff ist nichts anderes als ein Gas, welches gewonnen wird, indem man Wasser (H2O) in Sauerstoff (O) und Wasserstoff (H2) aufspaltet. Für die Aufspaltung des Moleküls H2O braucht man Strom. Der Vorgang wird deshalb Elektrolyse genannt. Wird bei der Elektrolyse Strom aus regenerativen Quellen wie der Windkraft- oder Solaranlagen eingesetzt, ist das Gas vollkommen CO2-frei. Man spricht dann von „grünem Wasserstoff“.

Dessen Einsatz erfordert einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Energieerzeuger müssen im gesamten Land noch mehr Windräder und Solarpanele installieren. Die Bundesregierung hat erkannt, dass der immer größer werdende Bedarf an grünem Strom unmöglich aus eigener Produktion zu decken ist. Sie möchte deshalb Projekte fördern in Regionen rund ums Mittelmeer oder in Asien. Dort scheint die Sonne satt und ließe sich billiger grüner Strom in großen Mengen gewinnen.

Deutschland ist bei der Wasserstofftechnologie bereits weit entwickelt und könnte international eine Vorreiterrolle übernehmen. Fachleute glauben, mit der Wasserstofftechnologie entsteht ein Milliardenmarkt mit vielen neuen Arbeitskräften.

Breite Anwendung

Das klimaneutrale Gas lässt sich „sektorübergreifend“ einsetzen. Mit den H2 Molekülen können Autos und LKWs fahren, ebenso kann die Schwerindustrie Stahl erzeugen. Auch Hauseigentümer können Wasserstoff zur Wärmeerzeugung in ihren Gebäuden verwenden. Das in der Elektrolyse gewonnene Gas können die Versorger anteilig ins Erdgasnetz einspeisen. Das Gasnetz kann so sogar zum Energiespeicher für überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energien werden.

Als Mix lässt sich Wasserstoff mit konventioneller Brennwert-Technik nutzen, ohne das aufwendige neue Installationen und Heizkessel notwendig wären. Daneben findet Wasserstoff bei Brennstoffzellen und Gas-Wärmepumpen Anwendungen, ebenso in der Fern- und Nahwärmeerzeugung.

Champagner der Energiewende

Wasserstoff gilt als der „Champagner der Energiewende“. Das Wunderelexier ist kostbar und erfordert drei bis fünfmal so viel Energie, wie die direkte Nutzung erneuerbarer Energien. Viele Experten sind deshalb der Auffassung, Wasserstoff sollte vor allem in der Grundstoff-, Chemie- und Stahlindustrie zum Einsatz kommen, ebenso als Kraftstoff für den Schiffs- und Flugverkehr. Im nationalen Wasserstoffrat der Bundesregierung sitzen derzeit Vertreter von Energieversorgern sowie der Auto- und Stahlindustrie. Die Immobilienbranche ist nicht gefragt.

So sehen Energieexperten den Einsatz von Wasserstoff im Wohnungsbau kritisch: „Der ebenfalls verschwenderische oder klimaschädliche Einsatz von Wasserstoff im Gebäudebereich kann genauso verhindert werden, etwa indem die energetische Gebäudesanierung gefördert wird und beim Betrieb von Gebäuden konsequent erneuerbare Energien eingesetzt werden“, meinte die Energieexpertin Claudia Kempfert vom DIW in einem Papier von 2020. So hat sich bislang die Meinung durchgesetzt, man solle in der Wohnungswirtschaft vor allem die Installation von Wärmepumpen sowie verbesserte Dämmung fördern.

Gebäude klimatneutral machen

Trotz dieser Kritik geht die Wohnungswirtschaft nun in die Offensive. Über 90 Prozent der Heizungen in Deutschland werden mit Öl oder Gas betrieben. Bis Mitte des Jahrhunderts soll nach den Plänen der Bundesregierung das Ende sämtlicher fossiler Brennstoffe im Wohnungssektor erfolgen. Dies allein mit Wärmepumpen und Solarpanelen zu erreichen, scheint aussichtslos. „Vor allem der Einsatz von grünem Wasserstoff gilt als konsequenter Weg, den Gebäudesektor klimaneutral zu machen“, heißt es in einem Positionspapier des Gesamtverbandes der deutschen Wohnungswirtschaft GDW. „Allein schon die Einspeisung von 20 Prozent Wasserstoff in die Erdgasnetze würde den CO2-Ausstoß um etwa 7 Prozent reduzieren – Jahr für Jahr. Ein schnell wirksamer Beitrag zum Klimaschutz.“

Die Deutsche Energieagentur dena hält ebenfalls den Einsatz von Wasserstoff für unverzichtbar, um die ehrgeizigen Klimaziele in der Wohnungswirtschaft zu erreichen. „Auch der angestrebte klimaneutrale Gebäudebestand wird ohne Moleküle nicht erreichbar sein. Dies sind komplizierte planerische Herausforderungen für die Infrastruktur“, heißt es in einer Pressemitteilung von 2021. Die dena hat ermittelt, es ließe sich bis 2050 durch die Einspeisung von Wasserstoff in die Gasnetze 260 Milliarden Euro an Energiekosten einsparen.

H2 ready

Das Thema Wasserstoff für sich entdeckt haben nun auch die großen Heizungshersteller. Unternehmen wie Viessmann oder Bosch bieten H2 ready Heizkessel an, die ohne große Umrüstung die Beimischung von 30 Prozent Wasserstoff ermöglichen. Viessmann möchte ab 2023 Gas-Brennwertgeräte sowie Brennstoffzellen-Heizsysteme für den Betrieb mit 100 Prozent Wasserstoff in der Praxis testen.

Große Wohnungsbaugesellschaften wie Vonovia haben bereits Projekte mit dem emissionsfreien Gas in der Vermietung realisiert. Selbst die Bundesregierung plant mit der Wasserstofftechnologie, um den sozialen Wohnungsbau klimaneutral zu machen. In Berlin haben sich verschiedene Firmen zum „H2Berlin-Hub“ zusammengeschlossen. Deren Vision: „Die Verwendung von Wasserstoff in den gut ausgebauten Gas- und Fernwärmenetzen der Stadt könnte beispielsweise die Berliner Haushalte mit erneuerbarer Energie versorgen – ohne aufwändige Sanierungen, ohne Umsiedlungen, ohne höhere Mieten.“

Wasserstoff im Wohnungsbau

Noch sind Wasserstoffanwendungen in der Anschaffung und im Betrieb deutlich teurer als konventionelle Technologien. Im Wohnungsbau und in der Vermietung findet man deshalb derzeit nur einige Pilotprojekte, wo Wärme mit Wasserstofftechnologie erzeugt wird. Dass die Wasserstofftechnologie auch im Wohnungsbau eine stärkere Rolle spielen wird, scheint sich nun abzuzeichnen. Die Debatte und damit der Wettbewerb um das Wundergas sind nicht zuletzt mit der neuen Bundesregierung und dem ehrgeizigen Klimaminister Habeck neu eröffnet.